Etikettenschwindel

Lang recherchiert, mit viel Aufwand bestellt und dann das....

 

Kennen Sie das: Sie haben sich genau informiert, eine bestimmte Pflanze gewählt und diese dann in der Gärtnerei Ihres Vertrauens gekauft, doch es kommt zur Enttäuschung. Eine Woche später z. B., zur ersten Blüte, merken Sie, dass Sie etwas Anderes bekommen haben. Dunkelrote Blüten statt orangegelbe, wie sie auf dem Bildetikett zu sehen waren, oder irgend so etwas. Ist es Ihnen schon mal passiert? Dann hatten Sie einen klassischen Etikettenschwindel, der bei Bildetiketten nicht selten vorkommt. Aber wie kommt es dazu?

Da hilft ein Kapitel Pflanzenmarketing: Kaum eine der kleinen Gärtnereien produziert ihre Pflanzen noch selbst, und wenn doch, dann niemals ein Vollsortiment, sondern immer ein sehr spezialisiertes, kleines Sortiment. All die anderen Blumen, Stauden, Sträucher usw. werden von anderen, teils sehr großen Gärtnereien produziert, die in Deutschland, Holland, Spanien oder Osteuropa sitzen. Stecklinge für viele Saisonpflanzen kommen aus Israel.

Vielleicht ein kleiner Krimi zum Mitspielen? Stellen Sie sich vor, Sie wären selbst so eine Gärtnerei und produzieren unter anderem die Pflanze X in den Farben Gelb, Orange und Rot. Ihre Abnehmer sind ein riesiger Großhandel (A), dann eine Speditionskette (B), die deutschlandweit Blumenläden beliefert und eine Handelskette (C), die vor allem Restposten abnimmt und dann für „Lockangebote“ in Ihren Märkten platziert.

Sie haben 20.000 Stück jeder Blütenfarbe produziert, jeweils 15.000 waren von den Großabnehmern verbindlich bestellt, und ein paar mehr können ja nicht schaden… Die 15.000 Stück der drei Blütenfarben werden im April ausgeliefert und zeigen auch schon erste Knospen. Bald ruft Händler A an und sagt, er braucht noch 5.000 in Gelb, weil die in diesem Jahr „so gut laufen“. Händler B ruft auch an und will dasselbe, da gehen die Probleme schon los. Er braucht auch unbedingt Gelb, Orange als Ersatz kommt nicht infrage. Sie können ihm nicht helfen, und er muss schließlich mit Preisaufschlag die zusätzlichen gelben Pflanzen in Spanien kaufen.

Was machen Sie nun mit den übrigen je 5.000 Pflanzen in Orange und Rot, die keiner will? Sie rufen Händler C an, der nimmt 2.000 rote und 2.000 orangene, mehr aber nicht. Nun haben Sie noch 6.000 Pflanzen übrig, und für diesen Fall haben Sie ein schönes Bildetikett, da sind rote UND  orangene UND gelbe Blüten drauf und der Text heißt „Pflanze X in Farben“. Ein Universaletikett sozusagen, entweder sieht der Kunde an den ersten Blüten schon, was ihn erwartet, oder er kauft bewusst eine Überraschung. Mit so einem Etikett können Sie verschiedene Pflanzen in EINEM Posten verkaufen.

Ihr nächster Anruf geht an Händler A: Sie hätten 6.000 Pflanzen X übrig, ob er sie nicht komplett in seine Großmärkte nehmen kann in der Hoffnung, dass die dort einkaufenden Gärtner und Blumenhändler sie noch „mitnehmen“? Na klar, sagt er, aufgrund seiner Tourenplanung müssen aber alle 6.000 Pflanzen am Folgetag 6.00 Uhr abholbereit auf den Rollcontainern stehen.

Jetzt bekommen Sie Stress, denn alle Pflanzen müssen noch etikettiert werden. Die dafür nötige Spätschicht nähert sich schon Ihrem Ende, und dank zwei Helfern ist es fast geschafft. Doch plötzlich sind die Universaletiketten alle, und zwar restlos alle. 200 rote Pflanzen sind aber noch nicht etikettiert, nun, dann bekommen sie eben ein rotes Etikett. Aber: rote Etiketten sind leider schon gestern alle geworden und Nachschub aus der Druckerei kommt erst morgen….

Was tun Sie da? Schnell ist die Versuchung da: Weil orange ja ähnlich wie rot aussieht, kann man in diesem Ausnahmefall doch mal orangene Etiketten nehmen, dann wären 3 % der Lieferung falsch etikettiert, das ist vielleicht noch zu verschmerzen, und so wichtig ist den Kunden die Farbe ja auch nicht immer. Können Sie da der Versuchung widerstehen, einen klitzkleinen Betrug zu begehen? Vermutlich nicht, wenn die Geschäfte auch sonst nicht besonders gut laufen, und schwupp bekommen 200 rote Pflanzen (noch ohne Blüten) ein orangenes Etikett und werden unter die anderen gemischt.

Am nächsten Tag werden die Rollcontainer geholt, und 24 Stunden später sind 200 falsch etikettierte Pflanzen homöopathisch in 50 Großmärkten Deutschlands verstreut. Gärtner Mustermann ist einer der ersten, der an jenem Morgen in einem der 50 Märkte Pflanzen für seine Kunden kauft und gerade seine 2 gefüllten Rollcontainer zur Kasse schiebt. Dort muss er warten, weil andere vor ihm stehen, ebenfalls mit 1 – 2 Containern, und er schaut sich die Sonderangebote rechts der Kasse an. Ein ganzer Container „Pflanzen X“ als Mischsortiment in Gelb, Orange und Rot steht da. Er erinnert sich an seine Lieblingskundin, die vor einigen Tagen nach einer orangenen Pflanze X gefragt hatte und die er vertrösten musste. Als sein Blick über die Bild-Etiketten schweift, entdeckt er ein abweichendes Etikett: Eine Pflanze X in Orange, sauber etikettiert - wer weiß, wie die unter die Mischware geraten ist! Einzeln kann er die Pflanze nicht mitnehmen, aber für seine Lieblingskundin tut er alles und kauft ein 6-er Pack („Tray“) der Pflanzen X, in dem die Rarität nebst 5 anderen steckt. Mit verschwörerischem Blick kann er die Lieblingskundin am nächsten Tag überraschen und zaubert ein seliges Lächeln auf ihr Gesicht. Das Trinkgeld ist entsprechend, aber die Enttäuschung folgt auf den Fuß, wenige Tage später. Gärtner Mustermann muss seine Kundin trösten und schenkt ihr als Ausgleich zwei ganz andere Pflanzen, die er übrig hat…

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Ein Geißblatt: Hier stimmt die auf dem Etikett versprochene Blütenfarbe nicht mit der tatsächlichen überein - ein typischer "Etiketten-Schwindel"