Im Zuge meiner Recherchen um den "Euonymus" (s. Bereich Gartenkunst) fand ich ein paar linguistische Besonderheiten, die es wert sind, erwähnt zu werden. In der Fassadenbegrünung bekannt sind diese Gewächse ja unter dem Namen "Kletterspindel", ich dachte immer, der Name kommt sicher vom spindelartigen Wuchs. Werden sie als Bodendecker benutzt, heißen sie dann folgerichtig "Kriechspindel".
Es gibt aber auch eine europäische Art, die wächst gar nicht wie eine Spindel, sondern strauchig oder wie ein kleiner Baum und heißt trotzdem "Spindelstrauch". Das ist ein Rätsel. Was mache ich in so einem Fall? Erst mal schauen, was Andere dazu geschrieben haben. Ich nahm also meine 10 - 15 Kletterpflanzen-Bücher und alle Kataloge von Pflanzenhändlern her und guckte. Bei Harri Günther in "Gehölze in den Gärten von Sanssouci", 3. Auflage von 1984 fand ich die Erklärung: Dieser Strauch hat ein extrem hartes, abriebfestes Holz, das früher für Spindeln von Spinnrädern usw. verwendet wurde. Des weiteren auch für Holznägel, z. B. bei Pantoffeln und Schuhen. "Spindelstrauch" hatte also nichts mit der Wuchsform, sondern etwas mit der Nutzung des Holzes zu tun. Günther war Botaniker und Pflanzen-Historiker, er kannte sich aus in alten Schriften und musste es wissen...
Aufgrund der auffälligen Früchte werden die Vertreter der Familie "Euonymus" auch "Pfaffenhütchen" genannt. Die ungeöffneten Früchte mit ihrer Faltung sehen einem viergeteilten Pfaffenhut der katholischen Geistlichen sehr ähnlich. Hier macht Harri Günther, vermutlich Atheist, eine süffisante Anmerkung, welche die Kirche ärgern könnte. Ja, die Kirche durfte man öffentlich ärgern zu DDR-Zeiten, den Staat eher nicht!
Harri Günther jedenfalls merkt an, dass der Name "Pfaffenhütchen" offenbar eine Maskierung ist und der ursprüngliche Name noch eine ganz andere Bedeutung hatte. Nämlich "Pfaffenhödchen". Oder "Pfaffenhödlein". Zum Verständnis sei daran erinnert, dass ganz früher alle Priester bzw. "Pfaffen" unter dem "Zölibat" lebten und keine Frau haben durften. Und im Volk, besonders bei jener Hälfte, die im Wirtshaus saß, mag man gedacht haben: Wer einen Beruf mit so einer strengen Bedingung wählt, bei dem muss irgendwas nicht stimmen, oder es wird vielleicht irgend etwas degeneriert sein. Und wenn man dann die winzigen, auffälligen Früchte des Spindelstrauches vor Augen hatte, schloss sich der Kreis der Vorstellungen, und die Pflanze hatte ihren Namen weg. Ausführlicher lässt sich das Ganze nicht beschreiben, weil sonst der Religionsfrieden in Gefahr wäre.
Dass man damals sehr freizügig mit der Vergabe solcher Namen war und dass bei Vergleichen nicht nur auf Untergrößen, sondern auch nach oben geschaut wurde, beweist die alte Tafeltrauben-Sorte "Blauer Trollinger" mit ihren mächtigen, fast pflaumengroßen Beeren. Sie wurden in Baden-Württemberg anerkennend "Hammelhoden" oder "Bocksbeutel" genannt...