Bei solchen Objekten frage ich mich oft: Wie würde das Haus OHNE Begrünung aussehen? Sehr schön, aber... Genau das ist es: Es würde etwas fehlen, denn die Begrünung ist untrennbar mit dem Erscheinungsbild des Hauses verbunden!
Das rote Haus steht am Markt des malerischen Städtchens Meersburg am Bodensee und ist über 500 Jahre alt. Um 1500 war es das Bürgermeisterhaus, später wurde es als Gastwirtschaft genutzt und heißt heute "Hotel und Weinstube zum Löwen". Ringsherum gibt es viele weitere begrünte Häuser, die ganze Altstadt ist davon geprägt.
Ich kannte das Gebäude schon seit Jahren von Fotos her. 2015 und 2016 waren wir im Urlaub am Bodensee, und endlich konnte ich Meersburg besuchen und die prächtigen Begrünungen fotografieren. Unten am Hafen fand ich überraschenderweise sogar eine unserer Edelstahl-Rankhilfen an einem Hotel.
Jetzt, beim Schreiben dieses kleinen Artikels und beim Sichten der Fotos interessierte mich die Historie. Wann wurde das Gebäude begrünt? Wie hat sich der "Wandgarten" über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte entwickelt? Da es sich um eine sehr bekannte Szenerie handelt, hoffte ich im Internet Bilder zu finden und verbrachte ich einen halben Tag beim Stöbern zwischen alten Ansichtskarten. Es gab tatsächlich Fotos, aus denen sich einiges ableiten ließ, z. B. dass es mehrere Begrünungsvarianten gab und dass die jetzige ziemlich sicher die genialste ist!
Schon sehr lange gab es vermutlich die Blumenkästen auf den Fensterbänken. Um ca. 1900 kam dann an der Hausecke eine Fassadenpflanze hinzu, wie die Fotos zeigen, vermutlich ein Fünflappiger Wilder Wein "Parthenocissus quinqefolia". Er wurde an beiden Fassaden und an drahtförmigen Rankhilfen geführt, jeweils 2 parallele waagerechte Stränge zwischen den Geschossen. Im Herbst färbte er sich scharlachrot. Dieser Wein, zusammen mit den Blumenkästen, prägte dann über Jahrzehnte das Gebäude.
Vermutlich um 1940 wurde dann auf der Nordwestseite Blauregen gepflanzt, wahrscheinlich "Wisteria sinensis". Die Pflanze hat inzwischen einen baumdicken Stamm und blüht im Frühling trotz der halbschattigen Lage offenbar gut, im Sommer gibt es bei den Blüten dann einige Nachzügler. Das Grün der Wisterien-Blätter wiederum steht in Kontrast zum rot gestrichenen Mauerwerk. Auch dass die Begrünung nicht nur flach an der Wand liegt, sondern wie bei Glyzinien üblich raumgreifend bzw. buschig nach vorn steht gibt dem Ganzen eine besondere Note. Es halten sich dort auch Vögel auf. Die ins Grün eingebetteten Blumenkästen entschädigen im Sommer und Herbst für die längst abgeschlossene Hauptblüte der Glyzinie. Das Laub wiederum bleibt in milden Wintern sehr lange, nämlich bis Dezember haften und färbt sich dann gelb.
Auf der dem Markt zugewandten Südwestseite wurden irgendwann noch eine Klettertrompete sowie ein Traubenwein gepflanzt, der Wilde Wein wächst dort auch immer noch und der Blauregen ist teilweise um die Hausecke herum geführt, so dass sich dort ein sehr vielfältiges und etwas ungeordneteres Bild als auf der anderen Fassade ergibt.
Es ist also insgesamt ein sehr vielfältiger Wandgarten, und ohne jährlichem Schnitt wäre die Pracht in dieser Form auch nicht möglich. Ein Dank an die Inhaber-Familie, die das Juwel am Funkeln hält!
P. S.: In Staufen im Breisgau gibt es übrigens ein ziemlich ähnliches "Gasthaus zum Löwen", das auch mit Blauregen begrünt ist.