Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Unsere Architektin hatte gewarnt: Einen so großen Baum wie unsere Familie von einem Ort woandershin zu verpflanzen sei kein Kinderspiel, wir sollten das nicht unterschätzen. Sie hatte Recht!
Das begann schon beim Thema "Einzugstermin". Am Anfang sagten wir immer: In 3 - 4 Jahren wollen wir dann auch auf dem Hof wohnen. Pustekuchen, nach 5 Jahren begann eigentlich erst die grundhafte Sanierung, vorher mussten wir uns um die große Scheune kümmern und um Erschließung nebst Tiefbau, und alles war viel teurer als geplant und warf uns immer wieder zurück. Und stets die Frage, zig-fach, vielleicht hundertfach: "Wohnt ihr denn schon auf eurem Hof?" Die Antwort: "Nein, noch nicht, aber vielleicht in einem Jahr...."
Womöglich mussten auch wir erst reifen für den Einzug in dieses Haus. Wie viele andere Paare, die ein solches Projekt beginnen, wurden auch wir an Grenzen geführt, standen mehr oder weniger dicht vor einer Trennung und hätten fast ein Kind durch einen Unfall hier im Garten verloren...
Aber das alles ist Geschichte, wir sind eingezogen! Und zwar gleitend, nicht von heute auf morgen mit dem Umzugswagen. Mit fast jeder Autofahrt von Connewitz nach Baalsdorf haben wir "Zeug" transportiert und die alte Wohnung nach und nach entschlackt. Manches kam auf den Dachboden, aber schließlich füllte sich die neue Wohnung doch mit Interieur: Stühle, Teppiche, Bananenkisten voll Bücher, Geschirr usw.. Auch ein Bett wurde schon mal rüber transportiert, irgendwann kamen Regale an die Reihe, und dann wurde es in der alten Wohnung merklich trist und leer, überall fehlte irgendetwas, weil es schon abtransportiert war.
Unser Zentrum ist jetzt die 50 qm große Wohnküche im Erdgeschoss. Ihre Einrichtung glich einem Kristallisationsprozess. Wir platzierten Kristallisationspunkte, die wir genau ausbalancierten mit Gucken von links, Gucken von rechts usw.. Zum Beispiel unser geliebtes Ölbild der baltischen Ostseeküste, das über einem Küchenbuffet landete. Als es nach einigem Hin und Her dort hing, ergaben sich alle anderen Bild-Hängungen nebst Wanduhr wie von selbst.
Dieser Schwebezustand zog sich über Wochen, wir schliefen dann auch mal in der alten, mal in der neuen Wohnung. In der alten Wohnung drückten die Nachnutzer aufs Gaspedal - eine unserer Töchter nebst Familie war dabei, dort einzuziehen und begann bereits, Zimmer für Zimmer zu malern, da und dort wurden auch schon Holzböden abgeschliffen. Nun, es war in den letzten Wochen kein richtiges "Zuhause" mehr, und bei aller Sentimentaliät sehnten wir den endgültigen Abschied dann doch herbei.
Es gibt hier eine Konstellation, die manchen Feng-Shui-Experten die Stirne runzeln lässt. Wir leben auf Wasser, unser Haus steht quasi im Wasser! Der kleine Keller liegt auf dem Niveau des nahen Dorfteiches, und wenn wir nicht aufpassen und abpumpen, wird er regelmäßig überschwemmt. Das ist dann Venedig-Feeling! Natürlich ist das Gemäuer damit auch stets nass, zumindest dort unten. Und, da ist ja noch der Kellerbrunnen, genau unter unserem Esstisch, 8 Meter tief und ca. 1 m im Durchmesser. Ein beängstigend großes Wasserloch, mit Steinplatten abgedeckt. Irgendwie sollen "Wasseradern" ja gar nicht gut sein, zumindest wenn man drauf schläft. Nun, wir sitzen da nur und essen über dem Wasserloch, bisher hat es vermutlich nicht geschadet...
Irgendwann, am 17. November, gab es dann eine letzte Autofuhre, mit der wir die alte, leergeräumte Wohnung verließen, nachdem wir mit der kleinen Hausgemeinschaft, also den Nachbarn von oben und unten zuvor noch einen Abschied begangen und uns alte Geschichten erzählt hatten. 28 Jahre gemeinsam in einem Haus wohnen ist schon eine lange Zeit!
Und wie war es, nach dem Umzug? Nun, es war schon berauschend, alles neu halt. In den ersten Wochen saßen wir manchmal zu zweit beim Frühstück und meinten: "So eine coole Ferienwohnung - wir werden eine Woche verlängern!" Natürlich nimmt man sich selbst mit, das wissen alle Melancholiker, denn nicht jedes Problem ist mit einem Umzug aus der Welt. Und auch zeitlich war alles "auf Kante genäht": Wir zogen auf eine Baustelle. Die Treppe hatte keine Geländer und Handläufe, Türen waren nicht gestrichen, Fußbodenschwellen fehlten, ebenso die Keller-Verkleidung. Und ein Zimmer im Erdgeschoß blieb bis heute, also 4 Monate später, den Handwerkern als Aufenthaltsraum und Werkstatt vorbehalten. Unser Tischler, der leider nur sporadisch kommt, ist mit dem Innenausbau s. oben noch immer nicht fertig.
Ein Meilenstein war dann der erste Weihnachtsbaum im neuen Haus. Damit verbunden war die Frage, ob es gelingen würde, das für die Großfamilie bekannte Ambietente aus der alten in die neue Wohnung zu bringen. Unsere Enkelkinder würden die Frage bejahen!
Im Winter wird es kalt, und manchmal auch sehr kalt. Wir hatten Eisblumen in einem der Kastenfenster im Treppenhaus. Und die historische Eingangstür aus Eichenholz schwitzte wie verrückt. All ihre Metallteile wie Schloß usw. waren tropfnass, das Wasser lief in kleinen Rinnsalen hinab und bildete Pfützen auf dem Boden. Klassische Wärmebrücken. Doch als kurze Zeit später der Verschlag um die Kellertreppe gebaut war, kam aus dem Brunnenkeller weniger feuchte Luft nach oben ins Treppenhaus, und das Problem hatte sich weitgehend erledigt.
Dann kam der Frühling, und mit ihm die Ameisen. Irgendeine Ritze finden sie immer, um einzudringen, das ist bei alten Häusern so. Wir kannten das schon vom "Gewerbe"-Haus nebenan, da kamen sie auch direkt nach Abschluss der Sanierung. Man muss dann kurzzeitig sehr hart mit ihnen umgehen, dann begreifen sie, dass das jetzt nicht mehr ihr Haus ist, und im nächsten Jahr kommen sie nicht mehr. Mal sehen, ob das hier auch funktioniert.
Wie weiter? Außen ist noch nichts Großes passiert, weder an Dach noch an Wänden. Denkmalschutz, Sie wissen schon. Auch das wird nicht billig! Wir müssen auf bessere Zeiten warten, das hat hier Tradition. Das Haus war jahrzehntelang nach dem Bau 1882 nicht verputzt, weil auch damals das Geld fehlte. Aber "step by step" werden wir es schaffen!