"Edelstahl" ist eine geniale Wortschöpfung, denn sie erhöht das so benannte Material weit über verwandte Werkstoffe wie "Eisen" und "Stahl". Eisen und Stahl sind in der Vorstellung mit Makeln behaftet: Rost, Dreck, grob und schwer. Bei Edelstahl hingegen denkt jeder an glänzend, rostfrei, grazil und glatt, "edel" eben. Mir fällt auf Anhieb kein Begriff ein, der ein wirklich anderes, besonders gutes Material ebenso glorreich beschreibt.
Dabei ist Edelstahl eigentlich nichts Anderes als gewöhnliches Eisen, nur geringe Mengen von Chrom, Nickel, Vanadium und Molybdän sind beigemischt, insgesamt nicht mehr als ca. 5 - 10 %. Während Eisen jedoch spottbillig ist, sind diese anderen Metalle sehr teuer, was auch den Edelstahl teuer macht. Je mehr "Legierungs"bestandteile hinzugemischt sind, umso teurer wird der Edelstahl. Niedrig legiert ist V1A, mittelhoch V2A (A2), höher legiert dann V4A (A4).
Welchen Edelstahl wähle ich nun, wenn ich Rost vorbeugen und zugleich einen vernünftigen Preis bieten will? Und sage ich dem Kunden dann, welchen Edelstahl ich gewählt habe, oder schreibe ich einfach hin "Edelstahl Nirosta" ("Nicht rostend")? Diese Fragen bewegen jeden Hersteller von Produkten für den Außenbereich. Die Kunden bekommen davon nichts mit: Sie kaufen z. B. eine Rankhilfe - egal ob Seil oder Gitter, die ist aus Edelstahl, kann demzufolge nicht rosten und damit ist alles gut.
Aber so einfach ist es eben nicht. V1A-Gruppe kommt eigentlich gar nicht infrage, solche Edelstähle bleiben nur rostfrei im Innenbereich, taugen also nur für Gardinen-Seile, Körperschmuck usw.. Nach der "Wende" ab 1990 wurde V1A wohl hier im Osten aus Kostengründen mal eine Zeit lang für Geländer im öffentlichen Raum eingesetzt, z. B. bei Verkehrsbauten wie Haltestellen und Brücken. Und das sieht man dann auch, der Stahl rostet dort sachte vor sich hin, die Geländer sind gelbbraun verfärbt. Das andere, besonders teure Extrem ist dann die V4A-Gruppe. Ich habe auf fassadengruen.de mehrere Problemfälle aufgeführt, in denen nur ein teurer Edelstahl V4A sicher vor Rost schützt. Letztendlich habe ich mich dann für die mittlere Klasse V2A als Standard entschieden. Unser Drahtseil hingegen ist immer aus V4A, und in 2 besonders hochwertigen Produktlinien setzen wir auch bei Wandhaltern usw. V4A ein. Das kostet dann mehr, aber der Kunde kann sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden, denn bei FassadenGrün wird die Güte des Edelstahls ausgewiesen.
Ich hatte mich mal mit einem Hersteller von Türklinken o. ä. darüber ausgetauscht, der machte es anders. Er macht alles in V2A und nennt es "Edelstahl" und hat so einen Preisvorteil gegenüber anderen Anbietern, die besonders auf Design, V4A und Hochpreisigkeit setzen. Ein paar Türklinken lässt er aber auch immer in V4A fertigen, und wenn ein Auftrag in eine "Problemzone" ansteht, liefert er die Klinken aus V4A aus. Er verdient dann an dem Auftrag zwar kein Geld, weiß aber, dass keine Reklamationen wegen Rost kommen. Das geht bei uns leider nicht, weil wir nicht jeden Kunden aus München oder Berlin fragen können, wo er seine Rankhilfe montiert. Wenn sie nur aus V2A ist, er sie aber in seinem Ferienhaus an der Nordsee montiert, bekommt er Rost wegen der Salzluft und wir bekommen Probleme...
Manchmal klopft natürlich die Versuchung an die Tür. Bei mir war es der Rankstab RS 05125. Ich wollte den Stab in V2A, die Drahtfirma bot mir aber zusätzlich ein Material an, dass so gut "wie ein V2A-Stahl" wäre, aber nur etwa halb so teuer. Auf Nachfrage erhielt ich eine Kennziffer zu diesem Material und ein sehr allgemein gehaltenes Datenblatt, über 15 Jahre alt. Im Internet war nichts oder fast nichts zu diesem Edelstahl zu finden, und das ist schon sehr ungewöhnlich. Ergebnis meiner Recherche war dann, dass es vermutlich ein Edelstahl aus europäischer Produktion war, der mal als große Innovation auf den Markt gekommen und dann aber ziemlich sang- und klanglos verschwunden war. Das klang nicht sehr vertrauenserweckend! Ich habe den Drahthändler lieber auf seinem Restposten sitzen und den Preisvorteil sausen lassen.
Ganz vage habe ich gehört, dass an Edelstählen geforscht wird, die einem V4A gleichen sollen, aber ohne teure Legierungsbestandteile auskommen. Bei ihnen soll die Korrossionsbeständigkeit allein über ein verändertes Gefüge geschaffen werden, was dann nicht mehr anfällig für Rost ist. Das wäre eine Revolution für uns als Hersteller von Rankhilfen, aber es wird wohl noch eine Weile dauern.
Und wie sieht es mit Rankhilfen aus verzinktem Metall aus? Sie sind auf jeden Fall wesentlich preiswerter als solche aus Edelstahl. Bei Rankgittern sind sie eine echte Alternative, wenn es sich um "feuer"verzinkte Gitter handelt. Die Zink-Schicht auf dem Stahl ist dann tatsächlich sehr dick und hält meist Jahrzehnte. Allerdings sind verzinkte Oberflächen niemals glänzend und eher blaugrau... Bei filigranen Bauteilen wie Seilen usw. gibt es hingegen kaum eine Alternative zum Edelstahl. Die dünne Beschichtung verzinkter Seile, Seilklemmen usw. bereitet keine lange Freude und ist oft schon nach wenigen Jahren weg, und dann erscheint der Rost...